Haftung im Straßenverkehr
Das Haftungsrecht des Straßenverkehrs ist sehr differenziert und kompliziert, zumal es zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung unterscheidet. Für scheinbar gleich gelagerte Sachverhalte werden von verschiedenen Gerichten unterschiedliche Haftungsquoten zugrunde gelegt. Oft ist die Frage der Beweislastverteilung – wer muss was beweisen? – von ganz entscheidender Bedeutung.
Hier einige Fälle aus meiner Praxis, die (was relativ selten vorkommt) außergerichtlich nicht gelöst werden konnten und somit zu einem mit einer Entscheidung abgeschlossenen Prozess geführt haben (mit Fundstelle, sofern publiziert):
- AG Mainz 01.09.2015
Wer nach kurz zuvor erfolgtem Phasenwechsel auf Rot in eine Kreuzung einfährt und dort mit einem Linksabbieger kollidiert, hat 40 % seines Schadens selbst zu tragen. LG Mainz 12.08.2015, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2015, 498 Wer einen Pkw überholt, dessen Fahrer – ohne rechtzeitige Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers – an einem im Einsatz befindlichen Müllfahrzeug vorbeifahren will, haftet für den Schaden des Vorbeifahrenden zu 50%.
- AG Alzey 08.03.2012
Ein zwar vorfahrtberechtigter, aber deutlich zu schnell fahrender und alkoholbedingt fahruntüchtiger Fahrer haftet bei nächtlicher Kollision mit einem entgegenkommenden Linksabbieger für dessen Schaden zu zwei Dritteln.
- LG Mainz 05.08.2011
Wer nach einem verbotswidrigen Halt mit Warnblinkanlage im innerstädtischen Verkehr auf einem freien Fahrstreifen anfährt und dabei mit einem auf diesen Fahrstreifen wechselnden Fahrzeug kollidiert, haftet für den Schaden des Spurwechslers zu 75%.
- AG Sinzig 24.11.2010, Zeitschrift für Schadenrecht 2011, 381
Fährt eine PKW-Fahrerin auf der Autobahn bei Dunkelheit mit 100 km/h über eine Reifenkarkasse, die ein LKW verloren hat, haftet ausschließlich dieser für den Schaden, da die von dem PKW ausgehende Betriebsgefahr hinter dem überwiegenden Verschulden des LKW-Fahrers zurücktritt
- AG Mainz 25.3.2010
Eine Traktorfahrerin, die von einer Landstraße in einen Feldweg links einbiegt, ohne rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt zu haben, haftet für den Schaden eines mit 90 km/h herannahenden Überholers zu (mindestens) 75%
- LG Mainz 28.3.2007
Wer vor Beginn einer Tempo-30-Zone sein Fahrzeug aus 50 km/h bis zum Stillstand abbremst, um den zu dicht aufgefahrenen Hintermann „abzustrafen“, haftet bei einem Auffahrunfall zu 75 %.
- OLG Koblenz 25.11.2002, Versicherungsrecht 2003, 1454
Wer nur über einen abgesenkten Bordstein auf eine andere Fahrbahn gelangen kann, hat den Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO zu genügen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob es sich bei der mit einem abgesenkten Bordstein abschließenden Zufahrt tatsächlich um einen unbedeutenden, dem fließenden Verkehr nicht zuzuordnenden Straßenteil handelt.
- LG Mainz 27.5.1998
Kommt es im Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel zu einem Ausweichmanöver des nachfolgenden Fahrzeuges, ist keinem Fahrzeugführer ein Verschulden nachzuweisen und war der Unfall für beide Fahrzeugführer nicht unabwendbar, haften beide hälftig aus der PKW-Betriebsgefahr.
- LG Mainz 22.1.1998, Versicherungsrecht 1999, 863
Befindet sich ein vom Verletzten bei einem Verkehrsunfall getragener Ring nicht bei denjenigen Wertgegenständen, die ihm als sein Eigentum am Tag nach dem Unfall im Krankenhaus ausgehändigt werden, ist der Verlust adäquat kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen und somit zu entschädigen.
- LG Mainz 21.2.1995, Zeitschrift für Schadenrecht 1995, 168
Wurde dem Wartepflichtigen beim Einfahren in eine vorfahrtberechtigte Straße in unfallursächlicher Weise durch unzulässiges Parken gem. § 12 III S.1 StVO die Sicht in die Vorfahrtsraße genommen, haftet der Falschparker für Schäden des Wartepflichtigen zu einem Drittel.